Endlich mal neuere Musik
Luca Massaglia an der Beckerath-Orgel
Grelle Klänge, hochvirtuoses Spiel und eigenwillige Tonschöpfungen: So könnte man komprimiert das Orgelkonzert mit dem Italiener Luca Massaglia an der Beckerath-Orgel in der St.-Andreas-Kirche beschreiben.
Der 1975 geborene Organist und Komponist packt durch sein Spiel und bringt fast ausschließlich neuere Musik des 20. Jahrhunderts, Werke der klassischen Moderne, unter das Publikum.
Solche Programme sind auch immer ein Wagnis, denn Besuchermassen erreicht man damit nur höchst selten.
Jehan Alains "Variations sur un thème de Clément Janequin" (JA 118) schwebt über dem archaisch anmutenden Thema gedämpft dahin. Massaglia formt den Ideenreichtum mit seinen eigenen, originellen Ideen zu einem leisen Spiel der Töne, das den Stil Francois Couperins und Claude Debussys gleichermaßen aufflackern lässt.
Doch es sind zudem immer wieder die scharfen Gegensätze, die in teils extreme Klanggebilde hineinziehen. So setzt Massaglia nach dieser Ruhe der Variationen auf die Dissonanzen aus Alains "Première Fantaisie".
Noch massiver geraten die grellen Weiten "Les ténébres" (Die Finsternis) aus Olivier Messiaens letztem Orgelwerk "Livre du Saint Sacrement". Massaglia lässt das Zittern und Beben dieser rauschenden, geradezu schmerzenden Dissonanzen, die Cluster und Disharmonien Messiaens als dunklen, drastisch verzerrten Klangspiegel flackern. Der Fantasiereichtum und das bis in die letzte Note austarierte Spiel des Turiner Organisten lassen Schreckensvisionen spüren. Auch in dieser "Finsternis" erweist sich die derzeitige Bestuhlung in der Kirche als Glücksfall, denn der Zuhörer kann seine Sicht- und Hörweise individuell ausrichten.
Wer mit Jean Guillous "Saga Nr. 1" aus dessen "Six Sagas" (op. 20) bislang noch nicht Bekanntschaft schließen konnte, auch der ist im richtigen Konzert. Der 1930 geborene Organist und
Komponist aus Angers schafft eigensinnige Welten. Auch in diesem Werk setzt Massaglia auf die kompositorischen Gegensätze und die markanten Akzente, die dieses teils improvisatorisch wirkende Werk tragen.
Mit Jean Langlais' "Chant héroique" aus den "Neuf Pièces" kommt Massaglia zu einem Konzertende, das nochmals geballten Stoff birgt. Langlais widmete das Werk dem im Zweiten Weltkrieg gefallenen Jehan Alain. Kampf und Zerrissenheit einer grausamen Schlacht, die den Einzelnen untergehen lässt, zeichnet der Musiker drastisch nach. Das Gehetzte und Gemetzel befördert Massaglia gewaltig aus dem Instrument wie auch das leise Wimmern der Sterbenden oder die zitierten Teile der französischen Nationalhymne.
Hier unterstreicht der Organist ein Klangbild des Schreckens, das erschüttert und aufwühlt.
Birgit Jürgens
"Hildesheimer
Allgemeine Zeitung", 27 May 2014